Privatwissenschaftliches Archiv

Bienenkunde, Landau/Pf.


 

Überarbeitetes Manuskript eines Eröffnungsvortrages [9] bei der 15th International Conference on System Research, Informatics and Cybernetics am 28. Juli 2003 in Baden-Baden.

Die Autoren wurden mit dem "Innovation Award" des International Institute for Advanced Studies in System Research and Cybernetics (Windsor, Canada) ausgezeichnet.

 

 

 

Elektromagnetische Exposition als Einflussfaktor für Lernprozesse

- ein Einwirkungsmodell der Bildungsinformatik mit Bienen als Bioindikatoren -
 

von Jochen Kuhn und Hermann Stever

 

 

 

Ein Einwirk- oder Einwirkungsmodell ist ein gedankliches Konstrukt der  Schnittstelle zwischen einem oft umweltbedingten Reiz und einem diesem Reiz ausgesetzten Objekt. Dabei besteht die Aufgabe des Modells darin, den bei dem Objekt durch den Reiz hervorgerufenen Effekt mithilfe einer wissenschaftlichen Theorie zu beschreiben. Die Entwicklung eines solchen theoretischen Konstruktes hängt dabei entscheidend von dem Verständnis der Funktionsweise des dem Reiz ausgesetzten Objektes ab. Bei der Entwicklung von Einwirkmodellen zur Risiko- und Folgeabschätzung bei lebenden Organismen müssen sowohl die infolge eines Reizes auftretenden Effekte als auch die diesbezüglich aktivierten, organismusimmanenten Schutzreaktionen berücksichtigt werden.

Die modernen Medien in Verbindung mit dem zunehmenden Einsatz von mobile computing im Bildungswesen bedingen u. a. eine zunehmende öffentliche Debatte über mögliche Nebenwirkungen elektromagnetischer Exposition auf den Menschen und seine Lernprozesse. Es wurden in den letzten Jahren vermehrt wissenschaftliche Studien initiiert, die die Einwirkung der Hochfrequenzstrahlung auf lebende Organismen und Zellen untersuchten. Bis heute fehlen aber adäquate Einwirkungsmodelle mit speziellem Bezug zu Lernprozessen, mit denen die verschiedenen Effekte, insbesondere im nichtthermischen Bereich, erklärt werden können. Als Beispiel sei hier nur die resonante Erregung lebender Organismen angegeben. Gerade diese Effekte werden im Zuge der zunehmenden Mobilfunkgeräte v. a. im Bereich der Handy-Nutzung erörtert. Dabei ist es jedoch sehr schwierig, durch Studien am menschlichen Gehirn, das dieser Strahlung am intensivsten ausgesetzt ist, signifikante Effekte zu untersuchen. Man benötigt Modellvorstellungen zur Beschreibung möglicher Effekte.

 

Zur Evaluation einer möglichen Modellvorstellung ist in einem weiteren Schritt die Verfügbarkeit eines Bioindikators wünschenswert, dessen Gehirnstruktur der des menschlichen Gehirns sehr ähnlich ist und dessen körperliche Ausmaße im Bereich einer resonanten Erregbarkeit bei Mobilfunkfrequenzen liegen, denn naturgemäß verbietet sich in diesem Bereich ein

Experimentieren am Menschen. Es gilt also zusätzlich einen geeigneten Bioindikator ausfindig zu machen, um daran ein entsprechendes Erklärungsmodell für die Einwirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf den Menschen, insbesondere seine Gehirnstrukturen, zu überprüfen.

 

Im Folgenden werden wir ein spezielles Einwirkungsmodell entwickeln. Es beruht auf einer erweiterten Theorie der Superzeichenbildung, die im Rahmen der Bildungsinformatik entwickelt wurde.

Anm. 1:

Nähere Hinweise zu Anwendungen der Superzeichenbildung und zu weiteren Projekten des Instituts für Bildungsinformatik sind im Internet unter http://agbi.uni-landau.de zu finden.

Die klassische Theorie der Superzeichen befasst sich mit mathematischen Modellbildungen zu dem bekannten Phänomen des „chunking“. Grundannahme ist dabei, dass durch den Superierungsprozess die subjektive Information der Darstellung eines Sachverhaltes infolge einer Repertoireveränderung modifiziert wird (vgl. Stever 2003 und Anm. 1). Zur Entwicklung von Einwirkungsmodellen bei elektromagnetischer Exposition als Einflussfaktor für Lernprozesse wird die Theorie der Superzeichen in dem Sinne weiterentwickelt, dass die Möglichkeit physikalischer Einflüsse der Außenwelt auf den Prozess der Superzeichenbildung in die Modellannahmen aufgenommen wird.

 

Modellbildung

 

Nach allgemeiner Grundannahme der kybernetikbasierten Lerntheorie wird Lernen abstrakt als Aufbau eines internen Modells definiert. Einen Sachverhalt zu wissen, zu kennen oder zu  verstehen bedeutet also, dass ein lernendes Subjekt ein internes Modell von diesem Sachverhalt aufgebaut hat. Wissen entsteht andererseits nach dem gleichen Grundansatz aus der Informationsverarbeitung durch den Superierungsprozess. Die aktuell entwickelten Theorien von künstlichen neuronalen Netzwerken (als Modell des Gehirns) gestatten zusammenfassend die Auffassung einer internen Repräsentanz der Wissensstruktur, die durch physiologische Gegebenheiten im Gehirn widergespiegelt wird.

Um diese Vorstellungen in den Rahmen unserer formalen Ableitungen einzubetten, ist es nötig, den in Stever (2002) definierten Begriff der Wissenshierarchie zu einer Darstellung der Wissensstruktur (Stever, 2003) zu erweitern.

 

Eine Wissensrepräsentanz, aufgefasst als Aufbau eines internen Modells des zu erlernenden Sachverhaltes, lässt sich mit der dort angegebenen Begriffsbildung formal als Paar (Ŵ, M(Ŵ)) kennzeichnen und als Graph der Wissensstruktur interpretieren. Dabei stellt M(Ŵ) die Vereinigung der Menge aller möglichen Morphismen auf der Menge der verschiedener Wissenselemente Ŵ, dar:

M(Ŵ) =

Allerdings ist dabei die Möglichkeit physikalischer Einflüsse der Außenwelt auf den Prozess der Superzeichenbildung in die Modellannahmen noch nicht aufgenommen. Folgen einer Einwirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf den Menschen, insbesondere seine Gehirnstrukturen, können als eine Repertoireveränderung beim Aufbau interner Modelle interpretiert werden. Dies wird in der Theorie mit der Zusatzannahme erreicht, dass physikalische Einflüsse den Superierungsprozess verändern können. Es gilt also, in die mathematische Beschreibung des Superierungprozesses zusätzliche Parameter zu integrieren. Die Menge aller endlichen Verknüpfungsfolgen mit Elementen aus Ŵ ist zu ersetzen durch eine Menge aller endlichen Wege durch den Graphen der Wissensstruktur

Anm. 2:

Dieser Aufbau setzt eine Abstraktion von der reinen Inhaltlichkeit des internen Modells eines Sachverhaltes zugunsten eines funktionalen Agierens voraus. Er steht damit wissenschaftstheoretisch dem Konnektionismus näher als dem klassischen KI-Ansatz.

,

bei der Π für eine Menge möglicher physikalischer Einflüsse steht. Für jedes feste p Î Π ist damit die optimale Repräsentation der Wissenselemente und damit ein internes Modell eines Sachverhaltes zu ermitteln (Anm. 2). Insbesondere gilt es zu untersuchen, ob physikalische Einflüsse den Superierungsprozess selbst verändern. Über die möglichen Parameter p Î Π sind die Art und Weise, wie physikalische Einflüsse in den Superierungsprozess eingreifen, abbildbar.

 

Bioindikator

 

Als Einstieg zur Bestimmung eines möglichen Bioindikators zur experimental-physikalischen Interpretation des Modells dienen uns hier neuere Untersuchungen über Lernprozesse bei Bienen. Nach unserem Modell werden die Tätigkeiten der Bienen durch ihr Wissen über die Umwelt bestimmt, von dem wir annehmen, dass es durch Informationsverarbeitung in der durch den Superierungsprozess beschriebenen Weise entsteht. Diese Auffassung wird gestützt durch neurobiologische Untersuchungsergebnisse, die erkennen lassen, dass der Wechsel der Tätigkeiten der Bienen einhergeht mit Veränderungen in bestimmten Hirnregionen, insbesondere solchen der so genannten Pilzkörper (vgl. Withers et al, 1993; Faber & Menzel, 2001). Diese wollen wir hier als Repräsentationen interner Modelle von Ausschnitten der Umwelt als Ergebnis von Lernprozessen der Bienen ansehen.

In dem von uns untersuchten Kontext liegt es also nahe, Bienenvölker in ihrem Lernverhalten zu beobachten, wenn sie unterschiedlichen elektromagnetischen Expositionen ausgesetzt werden. Eine explorative Studie über Einwirkungen niederfrequenter und hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf Bienenvölker liefert dazu erste Beobachtungen und Erkenntnisse (Kuhn & Stever, 2002), die sich im Sinne der dargestellten Modellvariante einer „Erweiterten Theorie der Superzeichen“ interpretieren lassen.

Bei unserer Versuchsdurchführung können die Beobachtungen auf die aus der Strahlungsleistung resultierende thermische Einwirkung zurückgeführt werden, die nach theoretischen Berechnungen im Mittel die Volktemperatur im Winter um etwa 4 °C, im Sommer um ca. 3 °C erhöht. Dabei ist die Fähigkeit eines Bienenvolkes zur Thermoregulation unbeachtet geblieben. Es sind bei höheren Frequenzen aber auch nichtthermische Einwirkungen der hochfrequenten Strahlung auf die Pilzkörper als bestimmten Gedächtnisstrukturen in Betracht zu ziehen, die z. B. durch resonante Erregung entstehen könnten. Immerhin stellt die Biene für höhere Frequenzbereiche ein resonanzfähiges Gebilde dar (vgl. Kuhn, 2002). Gerade weil diese Einwirkungsmechanismen physiologisch bisher noch weitgehend unklar sind, können theoretische Einwirkungsmodelle wie die „Erweiterte Theorie der Superzeichen“ eine Basis für theoriegeleitete Forschung bilden.

Neuere Untersuchungen erhärten diesen Aspekt, dass gerade Bienenvölker zur Untersuchung der resonanten Erregbarkeit als eine nichtthermische Einwirkung sehr geeignet sind. So fanden Nieh und Tautz heraus, dass Bienen durch Wackeltänze auf der Wabe kommunizieren (vgl. Nieh & Tautz, 2000; Tautz et al., 2001). Diese Tanzvorgänge versetzen die Waben in Schwingungen, deren Frequenzen zwischen 200 Hz und 300 Hz liegen. Durch die Schwingung der Waben wird die Information auch zu weiter entfernten Bienen transportiert. Da die GSM-Handys ihre Information gepulst abstrahlen, muss neben den reinen Sendefrequenzen von etwa 900 MHz bzw. 1800 MHz zudem die Pulsfrequenz von 217 Hz berücksichtigt werden. Da diese Frequenz im Bereich der Wackeltanzfrequenzen der Bienen liegt, könnte sie den Tanzbereich resonant erregen. Entsprechend könnte der damit verbundene Lernprozess als Aufbau interner Modelle der Außenwelt der Bienen nichtthermisch beeinflusst werden.

 

Fazit

 

Zusammenfassend zeigen diese Ergebnisse auf jeden Fall, dass sich Honigbienen ausgezeichnet für Studien eignen, die zur Aufklärung der neuronalen Grundlagen des Lernens und des Gedächtnisses dienen. Bienenvölker erweisen sich als zulässige und geeignete Bioindikatoren, um entsprechende Erklärungsmodelle für die Einwirkung von elektromagnetischen Feldern auf den Menschen, insbesondere seine Gehirnstrukturen, zu entwickeln. Aus geeigneten Beobachtungen bei Bienenvölkern können entsprechende theoriegeleitete Wirkungsmodelle entwickelt werden, die auf der Theorie der Superzeichen basieren. Da die Gehirnstruktur der Bienen der des Menschen sehr ähnlich ist, und die körperlichen Ausmaße im Bereich einer resonanten Erregbarkeit etwa bei Mobilfunkfrequenzen liegen, ist eine Übertragung der Ergebnisse auf die Vorgänge beim Menschen möglich. So können offene Fragen z. B. nach möglichen nichtthermischen Einwirkungen, durch elektromagnetische Felder, theoriegeleitet geklärt werden.

Diese Fragestellungen reichen weit über den ursprünglichen Ansatz der Superzeichentheorie hinaus. Sie belegen aber gleichzeitig, dass mit dieser Theorie ein zentrales Forschungsfeld der Bildungsinformatik markiert wurde, das die Querschnittdimension dieser akademischen Disziplin deutlich hervorhebt und dabei eine zeitnahe Problemlage ergebnisorientiert erforscht.

 

Summary

 

Since the development of Cybernetics in the 1960s there has been an interdisciplinary view on the concept of "information". The research in mathematical information theory led to several applications in non-mathematical contexts.

In this paper we develop a model of effect based on the learning theory of super-signs, which deals with the well known phenomenon of chunking.

Our model describes to what extend high-frequency electromagnetic fields could influence the learning process of human beings. Furthermore we identify honey bees as a bioindicator, since their brain-structure concerning learning processes is similar to that of human beings. Because of their size, honey bees could be resonantly stimulated by the frequency of GSM-mobile-phones. As a consequence it is possible to study non-thermal effects on the learning process of these insects. Therefore the influence of non-thermal effects on the brain of human beings could also be identified.

So our experimental experience shows that honey bees are suitable for studying the influence of thermal and non-thermal effects on the learning process caused by high-frequency electromagnetic fields. In this context it should be a central task of Educational Informatics to apply an extended theory of super-signs.

 

 

Literaturverzeichnis

 

[1]

Faber, T. & Menzel, R. (2001): "Visualizing mushroom body response to a conditioned odor in honeybees"; Naturwissenschaften, Vol. 88 (2001), S. 472-476.

[2]

Kuhn, J. (2002): "Interdisziplinarität in Wissenschaft und Bildung"; Tectum Verlag, Marburg, 2002.

[3]

Kuhn, J. & Stever, H. (2002): "Einwirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf Bienenvölker – Erste Ergebnisse und Beobachtungen"; Deutsches Bienen Journal, Vol. 10 (2002), Heft 4, S. 19-22.

[4]

Menzel, R. (1993): "Associative learning in honey bees"; Apidologie, Vol. 24 (1993), Heft 3, S. 157-168.

[5]

Nieh, J. C. & Tautz, J. (2000): "Behaviour-locked analysis reveals weak 200-300 Hz comb vibrations during the honeybee waggle dance"; The Journal of Experimental Biology, Vol. 203 (2000), S. 1573-1579.

[6]

Papaj, D. R. & Lewis, A. C. (Hrsg.) (1993): "Insect Learning – Ecological and Evolutionary Perspectives"; Chapman & Hall, New York, London, 1993.

[7]

Stever, H. (2002): "Theorie der Superzeichen im Rahmen der Bildungsinformatik"; Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft (grkg) 43 (2002), Heft 1, S. 9-14.

[8]

Stever, H. (2003): "Erweiterte Theorie der Superzeichen im Rahmen der Bildungsinformatik. Grundlagen, Ableitungen, Anwendungen"; Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft (grkg) 44 (2003), Heft 1, S. 27-33.

[9]

Stever, H. & Kuhn, J. (2003): "Electromagnetic Exposition as an Influencing Factor of Learning Processes – A Model of Effect in Educational Informatics"; IIAS-Transactions on System Research and Cybernetics, Vol. 3 (2003), Heft 1, S. 27-31.

[10]

Tautz, J., Casas, J. & Sandeman, D. (2001): "Phase reversal of vibratory signals in honeycomb may assist dancing honeybees to attract their audience"; The Journal of Experimental Biology, Vol. 204 (2001), S. 3737-3746.

[11]

Withers, G. S., Fahrbach, S. E. & Robinson, G. E. (1993): "Selective neuroanatomical plasticity and division of labour in the Honeybee"; Nature, Vol. 364 (1993), S. 238-240.

 

 

Dr. Jochen Kuhn

Institut für Physik

Universität Koblenz-Landau,

Campus Landau

Im Fort 7                       

D – 76829 Landau        

Email: kuhnuni-landau.de

 

Prof. Dr. Hermann Stever

Institut für Bildungsinformatik

Universität Koblenz-Landau,

Campus Landau

Im Fort 7

D – 76829 Landau

Email: steveruni-landau.de

 

 

 

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